Deleted Scene: Teufelsbande

Der dunkle VW Golf parkte hinter einer Lagerhalle, die ihre besten Jahre längst hinter sich hatte. Das Gleiche konnte man auch von dem Auto behaupten, es war ein beinahe zehn Jahre altes Modell und seinerzeit war der lila-braun glänzende Farbton ein echter Verkaufsschlager gewesen. Heute jedoch, unzählige Steinschläge und Waschstraßenbesuche später, wirkte der Lack nur noch abgenutzt.

»Hierher verirrt sich kein ja keine Menschenseele«, gab das Mädchen mit kleinlauter Stimme und gerümpfter Nase von sich. Sie saß hinter dem Steuer und war sich noch unschlüssig, ob sie das gut oder schlecht finden sollte.

»Darum sind wir ja hier«, erwiderte ihr Beifahrer und seine Stimme klang beinahe schon süffisant. Das Mädchen seufzte und war ihm einen zweifelnden Blick zu. Ihr Begleiter war mittelgroß mit dünner werdendem, etwas zerzausten Haar. Um seine Hüften war er etwas rundlich, nicht unattraktiv, aber eben auch nicht trainiert, was zweifelsohne von seinem Hang zu gutem Essen und, wenn überhaupt, nur unregelmäßigem Sport herrührte.
»Hm.«

Das Mädchen seufzte erneut und blickte hinab auf ihre Hände, die angespannt auf ihren Oberschenkeln lagen. Der enge Jeansstoff fühlte sich sonderbar warm an, mit ihrem linken Zeigefinger spielte sie an einer Unebenheit, vermutlich eine aufgeschürfte Stelle im Gewebe. Ihr Körper war nahezu makellos, auch wenn sie vor dem Spiegel tagtäglich etwas Neues zu entdecken vermochte, was ihr nicht an sich gefiel. Doch insgeheim war sie sich ihrer weiblichen Attribute durchaus bewusst und scheute nicht, diese bei Bedarf einzusetzen. Sie blinzelte einmal lang und sog dabei kühle, dezent nach altem Vanilleduft riechende Luft durch die Nase sein. Gerade, als sie sich mit einem kokettierenden Augenaufschlag an ihren Begleiter wenden wollte, sagte dieser fordernd:

»Lass‘ uns mal loslegen, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, okay?«

Verdammt. Er war wieder schneller gewesen, wie so oft.

»Ich fühle mich unwohl hier draußen«, versuchte sie es trotzdem.

»Wieso, hier ist doch weit und breit keiner?«, kam es sofort zurück. »Denkst du, ich würde mit dir irgendwo hin fahren, wo auch nur der Hauch einer Chance bestehen würde, dass uns jemand erkennt? Egal, ob dich oder mich?«

»Weiß nicht.« Sie zuckte unschlüssig mit den Schultern. »Dir kann‘s doch egal sein eigentlich, oder?«
»Ist es aber nicht. Komm, jetzt laß‘ dich nicht so lange bitten«, fuhr er ungeduldig fort. Er öffnete seinen Gurt, um anschließend langsam seinen Mantel aufzuknöpfen.

»Und hier kommt wirklich niemand vorbei?«

»Definitiv nicht. Und samstags schon gleich gar nicht. Das Gelände steht seit gut drei Monaten leer, genau die richtige Zeitspanne.«

»Wieso?«

»Es gab ein paar Wochen Wachschutz, um Vandalismus und Diebstahl vorzubeugen. Mittlerweile ist aber alles leergeräumt und die Stadt ist nun verantwortlich. Mehr als eine Streife ab und an verirrt sich nicht in diese Gegend.«

»Na gut, ich seh schon...«, seufzte die Kleine.

»Und komm ja nicht auf die Idee, dass diese ganze Zeit, die wir mit Quasseln vergeudet haben, von unserer Stunde abgeht«, warf der Beifahrer trocken ein.
»Hätte ich nicht anders erwartet, wenn ich ehrlich bin. Aber wir gehen es langsam an.«

»Du bestimmst das Tempo«, lächelte er. »Aber ich werde nicht immer so großzügig sein, nur heute, weil es das erste Mal ist.«

Sein Blick wanderte prüfend vom Hals des Mädchens abwärts.


»Okay«, nickte er dann mit einem auffordernden Lächeln. »Wenn der Gurt anliegt und der Innenspiegel eingestellt ist, Kupplung treten und Motor starten. Und Ehrenwort, ich verrate es keiner Menschenseele, dass wir hier trainieren. Aber wenn ich meine Tochter schon mit siebzehn in den Straßenverkehr loslassen muß, dann möchte ich daran nicht völlig unbeteiligt sein.«

Michelle Brandt lachte kehlig auf, beinahe schon etwas hysterisch, und fuhr sich über die Stirn.

»Ach Papa, jetzt tu nicht so, als wärst du von uns beiden der Nervösere. Ich werd‘ das wohl nie lernen, aber ohne Auto bin ich doch total aufgeschmissen.«

Peter Brandt lächelte amüsiert und sah aus dem Fenster.

»Tja, was meinst du, weshalb wir den Golf schon vorher gekauft haben. Früher galt das als schlechtes Omen, ein Fahrzeug vor dem Führerschein zu besitzen...«

»...aber früher hat auch kein Hahn danach gekräht, ich weiß«, winkte Michelle lachend ab.

»Dann los jetzt«, drängte Brandt mit einem mahnenden Unterton. »Nur ein bisschen hin und her, ganz locker. Und nicht vergessen: Es gibt keine Fehler, sondern nur Lektionen.«

Doch noch bevor seine jüngere Tochter, noch immer etwas zögerlich, den Zündschlüssel umdrehen konnte, vernahmen die beiden ein dumpfes, sich näherndes Brummen. Motoren, nein, Motorräder, schloss Brandt. Verdammt, dachte er, gerade jetzt, wo wir endlich startklar sind.

Sofort zog Michelle ihre Hand zurück und blicke ihren Vater fragend an.

»Ich denke hier kommt niemand vorbei?«

»Niemand wichtiges jedenfalls. Aber lass mich mal lieber wieder ans Steuer.«

Er öffnete die Tür und auch Michelle ließ sich nicht zweimal bitten und löste rasch ihren Gurt. Als beide den Wagen verlassen hatte, näherte sich die erste Maschine, gefolgt von mindestens einem Dutzend weiterer. Auf den Motorrädern, Peter Brandt schätzte, dass es allesamt Harleys waren, saßen in Leder gekleidete Männer, hier und da klammerte sich eine dürre Beifahrerin an die zumeist bulligen Körper. Durch das ohrenbetäubende Knattern erklang hier und da ein Juchzen, die Biker fuhren durch das Gittertor nacheinander auf das Fabrikgelände, dann, in einem weitläufigen Kreis, wieder nach draußen, ohne den beiden die geringste Beachtung zu schenken.

»Idioten«, brummte Brandt missmutig und warf Michelle einen fragenden Blick zu, der ihr zu verstehen gab, dass die Privatfahrstunde nicht abgeblasen sein musste. Mit einem Augenrollen und einem schmalen Lächeln nickte das Mädchen und stieg wieder ein.

»Was war das eben?«, fragte sie, als endlich der Vierzylinder des Golf aufheulte, denn sie hatte beim Anlassen etwas zu kräftig aufs Gas getreten.

»Gemach, gemach«, unterbrach Brandt sie und fuchtelte mit den Händen. »Gewöhn dir das gar nicht erst an mit dem Gas.«

»Schon gut, kein Grund zur Panik.«

»Ich sag‘s ja nur. Was meintest du denn mit eben? Die Motorradfahrer?«

»Hm.«

»Frühlingsgefühle, Testosteron, such dir was aus«, murmelte Brandt und dankte im Stillen dafür, dass weder Sarah noch Michelle jemals auch nur ansatzweise an einen Motorradführerschein gedacht hatten.

Nach einer kurzen Pause fügte er nachdenklich hinzu:

»Es bedeutet jedenfalls nichts Gutes, so viel ist sicher.«